Page 47 - Trends-by-DELABIE_n02
P. 47

Constance Guisset / IN THE AIR ///





          Constance Guisset wird von jeher von einer starken
          künstlerischen Empfindsamkeit angetrieben. Ihre
          Laufbahn begann sie als Geschäftsführerin der Pariser
          Galerie Nelson und des Studios von Erwan und Renan
          Bouroullec.
          Ihre persönliche Entwicklung  zwischen Kreation
          und poetischem  Design veranlasste  sie  dazu,
          an der  École nationale  supérieure  de  création
          industrielle Industriedesign zu  studieren und  dort
          2007  ihren Abschluss  zu machen. 2008  erhielt  sie
          den Grand prix du design de la Ville de Paris, 2010
          den Audi Talent Award. 2017  richtete  das Pariser
          Kunstgewerbemuseum  Musée  des  Arts  Décoratifs
          eine Ausstellung  ihrer  Werke  aus, um ihren
          einzigartigen Ansatz aus experimenteller  Forschung,
          ästhetischer  Reflexion und künstlerischer  Schöpfung
          vorzustellen. Dabei  gehörte  der  Designer-Beruf
          eigentlich  nicht zum Karriereplan der  brillanten
          Studentin  an  der Wirtschaftshochschule ESSEC,
          außer dass sie sich einen  sowohl intellektuellen als
          auch handwerklichen Beruf erträumte und schon als
          Kind von dem unstillbaren Wissensdurst angetrieben
          wurde, die Hintergründe der Herstellung, Geschichte
          und Verwendung von Gegenständen zu begreifen. Ein
          Gespräch mit einer der einflussreichsten französischen
          Designerinnen.




                                                                                                                       47








         Gleich zu Beginn Ihrer Karriere haben Sie die Lampe Vertigo   Bühnengestaltung spielt in Ihrer Arbeit  ein große Rolle. Wie
         entworfen, die nicht  mehr vorgestellt zu werden braucht. Ist   gehen Sie an diese zauberhafte Gestaltung des Raumes heran?
         Constance Guisset eine Kultdesignerin?                  C. G.: Bühnengestaltung ist ein ganz eigener Bereich, in dem es
         Constance Guisset: Wenn eine Lampe Kultstatus erreicht, gilt   um die Gestaltung eines Raumes geht, bei dem man im Dienst
         das dann automatisch auch für den Designer? Natürlich bin ich   eines Choreografen, eines Kurators oder eines Künstlers Inhalte
         erfreut über den Erfolg der Leuchte, die mir nun nicht mehr   in Szene setzt. Dabei sind Gespräche und enge Zusammenarbeit
         gehört. Sie gehört ihren Nutzern. Zu sehen, wie ihre Nutzer sie   von wesentlicher Bedeutung. Ich stelle mir jedes Mal Fragen nach
         sich aneignen, ist geradezu faszinierend.               Rhythmus, Zeitablauf, Begegnungen. Ich versuche eine Öffnung
                                                                 zu erreichen, eine andere Raumzeit für Gedanken.
         Sie  verfolgen einen berufsübergreifenden Ansatz. Inwiefern
         unterscheiden sich Innenausstattung und  Objektdesign   Ballettaufführungen, Ausstellungen, Hotelzimmer  – was
         voneinander?                                            inspiriert Sie am meisten?
         C. G.:  Sich die Ausstattung von Räumen vorzustellen ist etwas   C. G.:  Jedes  Projekt  hat  seine  Eigenheiten  und seine  Reize,
         anderes als einen einzelnen Gegenstand zu entwerfen. Man muss   die einander übrigens ergänzen. So veranlasste mich z. B. das
         sich umfassend um das Ambiente kümmern, ein Gleichgewicht   Bühnenbild für „Der Seiltänzer“ des  Choerografen Angelin
         finden und sich in einen Raum einleben wie ein Fisch im Aquarium.  Preljocaj dazu, eine Lampe namens „Angelin“ zu entwerfen. Das
         Wie wichtig ist es für Sie, dem Alltag einen Hauch von Fantasie   sucht man sich nicht aus. Begegnungen inspirieren mich, ebenso
         zu verleihen?                                           wie Themen oder bestimmte Momente.
         C. G.: Wir begnügen uns allzu oft mit dem Alltäglichen. Industrielle   Haben Sie bereits in Erwägung gezogen, öffentliche Räume zu
         Hersteller schneiden Bretter rechtwinklig zu und zwingen uns dazu,   gestalten? Und wenn ja, welchen?
         in einer Welt voller Ecken und Kanten zu leben. Meiner Meinung   C. G.: Öffentliche Orte sind ganz besondere Räume. Egal, ob es sich
         nach trägt meine Arbeit dazu bei, das zu verändern. Wir können uns   um ein Hotel oder die Empfangshalle eines Museums handelt, ich
         mit unterschiedlichen Gegenständen umgeben, Überraschungen   genieße es jedes Mal, sie mit Gastfreundlichkeit und Leichtigkeit zu
         auslösen und Unebenheiten hinzufügen, die den Blick auf sich ziehen   erfüllen. Ganz besonders gern würde ich ein Restaurant gestalten,
         und uns erfreuen und faszinieren.                       wozu ich wahrscheinlich bald die Gelegenheit haben werde – und
                                                                 eine Bahnhofshalle.
   42   43   44   45   46   47   48   49   50   51   52