ARCHITEKT DES WESENTLICHEN
Anders als so mancher als einfühlsamer Baumeister auftretender Stararchitekt ist Shigeru Ban ein eher zurückhaltender Pritzker-Preisträger. Der 2014 mit der als „Nobelpreis für Architektur“ geltenden Auszeichnung geehrte Japaner arbeitet mit vollständig wiederverwertbaren organischen Werkstoffen wie Holz, Papier, Pappe usw.
Eine willkommene Abwechslung in den noch allzu oft von Stahl und Beton beherrschten Städten.
Der 1957 in Tokio geborene Shigeru Ban entwirft seine Projekte von jeher mit einem empfindsamen Blick auf die Welt der überbevölkerten Megastädte Asiens. Seine Inspiration bezieht er aus der traditionellen japanischen Bauweise mit verschiebbaren Papierwänden, durch die er Räume zum Leben erweckt. Er schafft mobile und veränderbare, manchmal vergängliche Strukturen, die nach außen hin offen sind und denen eine gewisse fließende Poesie innewohnt.
Ihm war u. a. der Japanische Pavillon aus recycelten Papierröhren und einem beeindruckenden Gewölbe mit Wabenstrukturen aus Holz auf der EXPO 2000 in Hannover zu verdanken. In Asien und Afrika erschafft er Notunterkünfte aus vor Ort zur Verfügung stehenden organischen Werkstoffen für die Opfer von Klimakatastrophen und für politische Flüchtlinge. In Frankreich entwarf er das inzwischen berühmte Zelt des Centre Pompidou-Metz und gemeinsam mit dem Architekten Jean de Gastines leitete er die Renovierung der Seine-Insel Île Seguin mit dem an ein Schiff erinnernden Kulturzentrum Seine Musicale, ein durch und durch umweltfreundliches Gebäude am südwestlichen Stadtrand von Paris.
In Zeiten, in denen unser Planet den homo oeconomicus mahnend daran erinnert, seinen ökologischen Fußabdruck zu verkleinern, zeugen Shigeru Bans Bauten von solchen Tugenden wie Verantwortungsbewusstsein und Humanismus. Eine Architektur des Wesentlichen.
Interview mit Shigeru Ban, der Notarchitekt
Sie werden bisweilen mit dem Begriff „Notarchitekt“ beschrieben. Sind Sie einverstanden mit dieser Bezeichnung?
Shigeru Ban: Mir geht es nicht so sehr darum, wie man mich nennt, sondern eher darum, was ich tue. Ich beteilige mich an Projekten humanitärer Architektur und ich biete Notlösungen an, um auf immer komplexere Natur- und humanitäre Katastrophen zu reagieren.
Wie kamen Sie darauf, dass Pappe ein passendes Material für die Architektur sein könnte? Welches sind ihre wichtigsten Eigenschaften?
S. B.: Alles begann 1986, als ich zum ersten Mal Papierröhren für die Ausstattung einer Ausstellung zu Ehren des finnischen Designers Alvar Aalto verwendete. Für die Verwendung von Holz reichte damals das Geld nicht aus. Deshalb wich ich auf Rohre aus Pappe aus. Dabei wurde mir bewusst, wie solide dieser Werkstoff ist, und ich begann ihn eingehender zu untersuchen. Inzwischen ist er für mich unerlässlich beim Bau zahlreicher provisorischer Unterkünfte, um von Natur- und humanitären Katastrophen heimgesuchten Ländern wie Haiti, Ruanda oder Japan zu helfen. Papierröhren sind kostengünstig, wiederverwertbar, leicht aufzubauen und überall auf der Welt verfügbar. Nachteile weisen sie kaum auf.
Besteht nicht die Gefahr, dass solche Häuser beim ersten Sturm zusammenbrechen oder wegfliegen?
S. B.: Nein, die Strukturen aus Papierröhren sind so konzipiert, dass sie eine absolute Stabilität und Sicherheit gewährleisten und eine entsprechende Pflege ermöglichen. Dazu gehören Spezialbehandlungen, durch die sie feuersicher und wasserdicht werden.
Provisorisch und nachhaltig, passt das zusammen?
S. B.: Ganz eindeutig. Auch ein für die Ewigkeit gedachtes Bauwerk verfällt, wenn es nicht geliebt wird. Hingegen kann ein provisorisches Bauwerk dauerhaft werden, wenn sein Volk und seine Bewohner stolz darauf sind. Das gilt für manche meiner Bauten wie z. B. die Schule aus Kartonröhren im chinesischen Chengdu, die innerhalb von zehn Jahren mehrere Erdbeben überstanden hat, und die katholische Kirche im japanischen Kobe, die 1995 entstand und dann Taiwan übereignet wurde, wo sie heute noch steht.
Bildnachweise: Shigeru Ban Architects, Anderson, Yoshihito Imada