ARCHI PHILOSOPHIE
Anne Démians gehört zu denen, die ihr Metier mit Verantwortung betreiben. Ihre engagierte Einstellung verwirklicht sie in Projekten unterschiedlichster Art und Ausrichtung. Jüngst zum Mitglied der Ehrenlegion ernannt, bricht die Architektin und Stadtplanerin klug mit vorformatierten Modellen.
Seit der Gründung ihres ersten Architekturbüros 1995 hat Anne Démians eine einzigartige Spur der Nachhaltigkeit in unseren urbanen Landschaften hinterlassen. Vom Bürokomplex Les Dunes über Black Swans in Straßburg und das Hôtel-Dieu in Paris bis hin zum Bahnhof von Vilnius schenkt sie ihre Aufmerksamkeit großen wie kleinen Projekten. Hauptsache, sie kann ihr großes Credo umsetzen. Die mit einschlägigen Preisen überhäufte Pionierin reversibler Architektur wirft für uns einen Blick auf ihren Werdegang und erklärt ihre Vision.
Inwiefern beleuchtet die Architektur unsere heutige Gesellschaft?
Anne Démians: Die Architektur markiert, analysiert und offenbart die Etappen unserer Gesellschaft in all ihren Dimensionen - ob sozial, kulturell, ästhetisch, ökonomisch oder politisch. Jederzeit und überall präsent, bildet sie den Resonanzboden für unsere Worte, Handlungen und alltäglichen Gesten. Tatsächlich ist die Architektur eine Disziplin, die ebenso sehr auf künstlerischer Flexibilität wie auf wissenschaftlichem Denken beruht. Ihre Aufgabe ist es, die unsichtbare, sinnliche Dimension unserer Gedanken in eine freundliche Realität zu überführen, deren positive Effekte wir in jedem Moment spüren können.
Sie gelten als Pionierin der reversiblen Architektur. Wie würden Sie das Konzept einem Laien erklären?
A. D.: Indem ich zunächst betone, wie wichtig es ist, dass der Städter in Einklang mit seiner Umgebung und seiner Zukunft lebt. Welche Stadt möchte er seinen Kindern hinterlassen? Die von mir entworfenen Wohnräume und öffentlichen Komplexe sind allesamt reversibel, egal ob Wohnung, Büro oder Ausstattungsmodul. Es geht darum, aufzuräumen mit vorformatierten Rastern. Reversible Architektur verlängert die Lebensdauer von Gebäuden im Sinne maximaler Nachhaltigkeit. Wir müssen unsere Bauweise besser durchdenken, um schönere Konstruktionen hervorzubringen. Kreislauffähigkeit ist ein Hauptkriterium auf diesem Weg.
Muss Architektur auch eine politische Rolle spielen?
A. D.: Mit Sicherheit. Heute mehr denn je. Die Architektur ist eine politische Disziplin geworden – paradoxerweise, seit die Politiker ihr jenseits unserer Kulturschätze immer weniger Interesse schenken. Dabei war die Komplexität, in der zeitgenössische Architektur stattfindet, nie so reich an Komponenten und Parametern, die geeignet sind, spezifische Neuheiten hervorzubringen. Sei es in Form von urbanen Programmen, Nutzlandschaften, ungeahnten Designs oder technischen Innovationen. Darunter das Konzept der wandelbaren Stadt, auf Basis einer neu gedachten Verdichtung, die individuellen Ansprüchen ebenso gerecht wird wie dem kollektiven Ziel einer klimaneutralen Stadt.
Les Dunes, Black Swans, das Hôtel-Dieu in Paris, Nancy Thermal, ESPCI, der Bahnhof von Vilnius und andere Objekte: Wie wählen Sie aus, welches Projekt Sie angehen möchten?
A. D.: Größe und Lage des Projekts spielen keine Rolle. Wenn es nur dazu beiträgt, eine Stadt schön und überraschend, unsere Landschaften beachtlich zu machen, dann sind Umfang oder Zweck egal. Architektur ist in erster Linie eine Gebrauchskunst und in dieser Hinsicht interessiert mich die Alltagsarchitektur. Sie ist für mich zur Priorität geworden. Was Großprojekte mitsamt all ihren einzigartigen Herausforderungen nicht ausschließt.
Welches Projekt hat Ihre Karriere am stärksten geprägt?
A. D.: Sicherlich das Urbanismus- und Wohnungsbauprogramm an der Porte d’Auteuil in Paris. In Zusammenarbeit mit den Architekten Fancis Soler, Finn Geipel und Rudy Ricciotti realisiert, bildet es ein Manifest für das Nebeneinander von Eigentums- und Sozialwohnungen. Eine schöne Verbindung, Ergebnis eines einzigartigen Denk- und Arbeitsansatzes. Außerdem ist da noch die kurze Phase, als ich unaufgefordert den Entwurf zu „La Nef“ entwickelt und vorgelegt habe: Langgezogen wie ein Schiff, spannt sich die Struktur hoch und kristallin über Spitzbögen im Innenhof des Hôtel-Dieu. Ein wertvolles, nützliches Werk, das bisher nur ein Vorschlag ist.
Gibt es Vordenker, die Sie in Ihrem Bereich und darüber hinaus inspirieren?
A. D.: Der Architekt Frank Lloyd Wright, um nur einen zu nennen. Wegen seines radikal modernen Denkens, seiner futuristischen Entwürfe und seines eindringlichen Oeuvres. Das Johnson Wax Gebäude ist für mich sein Meisterwerk. Durch seine plastische, soziale und funktionale Dimension.
Bildnachweise: Architectures Anne Démians, Stéphane de Sakutin/AFP, Martin Argyroglo, Jean-Pierre Porcher